Seit langem sind Besucher daran gewöhnt, dass die Sammlungen alter Meister mit marktgängiger zeitgenössischer Kunst aufgepeppt werden. Künstlerische Eingriffe allerdings, die das politische und soziale Funktionieren alter Meister innerhalb des Museums aus einer neuen Perspektive wahrnehmen lassen, sucht man hier vergebens. Das, was sich Künstler noch bis in die 1980er/90er Jahre hinein erlaubten, nämlich mittels künstlerischer Interventionen die Entscheidungsinstanzen Kritiker, Kuratoren und Kunsthistoriker und deren Deutungshoheiten bezüglich der musealen Sammlungsbestände und -ausstellungen mehr oder weniger respektvoll auf den Kopf zu stellen, passiert nur noch in Ausnahmefällen. Aber selbst ein harmloser Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist selten, da die zeitgenössischen Positionierungen nichts anderem als der Selbstvermarktung dienen. Das geht leider nicht selten so weit, dass die Sammlungen alter Meister demonstrativ missachtet, wenn nicht gar auf desaströse Weise missbraucht werden. Die Konsequenzen solcher Entwicklungen sind oft ebenso erbärmlich wie deren Gründe unredlich sind.
Es scheint evident: Wenn zeitgenössische Künstler heute ins Museum eingeladen werden, dann allein zu dem Zweck, den emotionalen Erlebnis- und Wohlfühfaktor im Museum zu steigern. Nur besonders mutige Museumsdirektoren wagen noch Experimente. Die meisten bevorzugen abgesicherte Positionen. Dass die aktuellen Präsentationen zudem oft von reichen Sammlern und marktbeherrschenden Galerien angeboten und finanziert werden, also ein "marktstrategisches Manöver für Künstler und Sammler" (Art Magazin) sind, kann jeder sehen, der sich die Anzeigeetiketten neben den Arbeiten anschaut.
So muss der viel beschworene Dialog zwischen Epochen, Stilen und Disziplinen vielleicht auch nicht immer künstlerisch genannt werden. Auch wenn es der Katalog, wie im Fall der "Natural Histories", einem Projekt von Miguel Ángel Blanco" im wohl schönsten Museums der Welt, dem Prado in Madrid, behauptet. Die Intervention des spanischen Zeitgenossen wird dem Besucher aber nicht nur als Kunst, sondern sogar als "neue wissenschaftlich-künstlerische Forschungsreise" verkauft. Auch wenn es seit einiger Zeit ein akademisches 'Must' ist, die synergetischen Effekte an den Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst (oder so ähnlich) zu betonen, tut es dann wirklich not, dass 150 ausgestopfte und skelettierte Tieren, Pflanzenpräparate und Mineralien in der ständigen Sammlung die Motive der herausragenden Meisterwerke einfach so grundschulmeisterlich wiederholen, dass es an groteske Albernheit grenzt?
Dies ist nur eines der harmloseren Beispiele unsäglicher künstlerischer Interventionen heute. Es kann leider getoppt werden. Und zwar, um nur ein Beispiel von vielen heranzuziehen, mit der Modeausstellung "Azzedine Alaïa. Couture/Sculpture" des bekannten Designers Azzedine Alaïa diesen Sommer in Rom's Galleria Borghese. Dass die Designer die Kunstwelt erobern wollen und die Kunstmuseen in Bezug auf die Mode keine Berührungsängste haben, gebongt. Auch dass die luxuriösen Kleider ein schöner Augenfang sind, soll hier nicht angezweifelt werden. Ein entsprechender Bühnenauftritt sei den kurvenbetonten Kleiderskulpturen aus erlesenen Stoffen und aufregenden Farben zwischen den wunderschönen Skulpturen Berninis, den grandiosen Gemälden Caravaggios, Raphaels und Titians - und auch zwischen den vielen zugegebenermaßen eher weniger aufregenden Werken dieser vollgepackten Sammlungsräume - denn auch gegönnt. Dass die elegant-erotischen, perfekt ausgearbeiteten Prachtkleider wie attraktive Skulpturen hergerichtet werden, spricht ja nicht gegen sie. Das Miteinander zwischen Kleid und Kunst allerdings, das laut Katalog natürlich auch hier in den emphatisch bekräftigten Dialog münden soll, wird allerdings erheblich gestört, weil einigen der textilen Designerstücke ein derart divenhafter Auftritt bereitet wird, dass sie die alte Kunst neben sich ganz einfach zum Verschwinden bringen. Wie respektlos kann man sein, die Fußbodenmosaike der römischen Antike unter den Stoffen der Maschinerie namens Modebranche einfach zu begraben?
Wir können es nicht mehr hören: Die letzte Chance für die Museen sei, so bläut man uns seit mehr als 30 Jahren ein, sie wie Wirtschaftsunternehmen zu führen, damit sie sich zu nachfrageorientierten Kulturdienstleistern mausern können. Ausstellungsprojekte seien allein dazu da, gigantische Besucherzahlen anzulocken, indem sich alte Kunst z.B. einem Jungbrunnen namens Gegenwartskunst zu unterziehen habe. Allerdings fällt es trotz Gewöhnung an die permanent wiederholten Mahnungen immer noch schwer zu akzeptieren, dass jedes Mittel recht sein soll, diese Argumente als Rechtfertigung zu missbrauchen, dem Museumsbetrieb die Substanz abzusaugen. Zum einen boomen Museumsausstellungen in Deutschland wie nie zuvor. Der Logik nach müssten jetzt die Ankaufsetats erhöht, die Forschungsaufgaben ernst genommen und die Ausstellungen wieder über ritualisierte Routinen nach- und hinausgedacht werden können. Dass es die knappen Kassen sind, die Gelder für grundlegende Aufgaben des Museums zu streichen, ist also so richtig wie falsch. Denn der marktkonforme Imperativ für Museen richtet sich in vielen Fällen nicht an einem tatsächlich zu erzielenden rechnerischen Profit aus. Vielmehr geht es darum, eine Ideologie gleichermaßen zu wiederholen wie zu erzeugen. Eine Ideologie, die konformistisch dem Zeitgeist des marktradikalen Gesellschaftsmodells in allen Lebensbereichen folgt. Wenn den europäischen Museen in öffentlicher Hand wieder und wieder die amerikanische Privatinvestorenmarke MoMA unter die Nase gehalten wird, um sie den gleichen Unternehmensprozeduren zu unterziehen, werden die musealen Grundaufgaben, das Sammeln, Bewahren und Erforschen von Kunst, für unerschwinglich erklärt. Museumsbau und Ausstellungswesen dagegen sind eine Prestigeressource geworden, in die es sich zu investieren lohnt, und zwar kräftiger, als jemals zuvor. Vorausgesetzt, die Zurschaustellung wird nach allen Regeln der Kunst, Verzeihung, des Marktes, optimiert. Das Ergebnis: Die Häuser und ihre Kunstwerke, die ihre Existenz einst auf einer gewissen Unabhängigkeit den Kategorien des unternehmerischen Denkens gegenüber beanspruchten, werden als zu konsumierende Produkte behandelt, Ausstellungen dementsprechend als massentaugliche Produktinszenierungen und Museumsarchitekturen als spektakuläre Landmarken. Vorbei sind die Zeiten, als es noch abgegrenzte Museumsshops gab. Heute kommen viele Museumsräume selbst als Shops, wahlweise auch als Designerläden oder Concept Stores daher. Präsentiert werden themenverwandte Konzepte, sprich: eine Kombination von Kunstwerken, mit denen sich die Kunden gerne umgeben und identifizieren. Die zur Impulsware verkommene Kunst wird so arrangiert und vorgeführt, dass eine Erlebniswelt konsumierbar wird. Im besten Falle soll das Sortiment der Kunstprodukte und -marken die Konsumenten zu einer Bindung ans Haus verleiten, wovon man sich verlässliche Geldströme verspricht. Kuratoren, Kunstvermittler und Presseabteilungen werden zu Marketingfachleuten, die das Luxussegment Kunst wahlweise begehrenswert, verführerisch oder auch atemberaubend präsentieren, dass sich ihre Klientel in den Laden locken lässt. Auf der Strecke beibt das Museum als eine von unseren Gewohnheiten befreiende Instanz, die uns nicht nur dort abzuholen vermag, wo wir stehen, sondern, auch dort hinschickt, wo wir noch nie waren.
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Literatur:
Peter Keller: Jungbrunnen für alte Meister? Interventionen zeitgenössischer Künstler in Museen alter Kunst. Online abrufbar: kunsttexte.de, 3/2015
Walter Graskamp: Aufgaben der Kunstmuseen. Ein Chamäleon im Kulturbetrieb. Online abrufbar: FAZ, 31.10.2015
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